Prognose: Materialkrise entschärft sich erst im zweiten Quartal 2022

Ein gutes Umsatzplus, kein Lockdown, wenig Kurzarbeit: Die Präsidenten der beiden größten Bauverbände, der Zentralverband des deutschen Baugewerbes (ZDB) sowie der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB), blicken zufrieden zurück auf das Jahr 2021. Doch ein großer Schatten trübt die Gesamtbilanz: die Materialkrise. Deren Auswirkungen wird die Baubranche noch 2022 spüren. Eine Entspannung soll im zweiten Quartal einsetzen.

Bei der gemeinsamen digitalen Pressekonferenz zum Jahresabschluss erläuterten Reinhard Quast, Präsident des ZDB, und Peter Hübner, Präsident des HDB, die Statistiken im Detail und bewerteten den Koalitionsvertrag.

Die Quintessenz: Die Bauwirtschaft rechnet für den Umsatz im Bauhauptgewerbe

1. mit 143,5 Milliarden Euro in 2021 nach 143 Milliarden Euro in 2020 (nominal +0,5 Prozent)

2. Die hohen Auftragsbestände lassen Raum für eine Umsatzsteigerung auf 151 Milliarden Euro in 2022, was einer Steigerung um nominal 5,5 Prozent entspricht

3. Bei einer veranschlagten Preisentwicklung für Bauleistungen von jahresdurchschnittlich 4 Prozent, bedeutet das einen realen Zuwachs von 1,5 Prozent

4. Bei den Beschäftigten erwartet die Branche einen weiteren Aufbau um 10.000 auf 915.000 Beschäftigte

Materialkrise und Preisexplosion

Der Gipfel der Preisdynamik ist laut Reinhard Quast (ZDB) nun zwar überschritten, allerdings verbleiben die Einkaufspreise noch auf einem hohen Niveau. Bauholz sei aktuell immer noch fast doppelt so teuer im Vergleich zum Vorjahr. Bei Kunststoffprodukten wie Rohren und Dämmstoffen, liegen die Preise um 30 Prozent über dem Vorjahresniveau, bei Stahl sind es fast 70 Prozent. „Ein Stück weit gelingt es den Bauunternehmen bei neuen Verträgen, diesen Druck auf der Einkaufseite auch an den Markt weiterzugeben. Per September haben die Preise für Bauleistungen gegenüber dem Vorjahr um knapp 6 Prozent zugelegt“, sagt Quast.  

In 20201 gab es zudem eine hohe Kapazitätsauslastung.  Quast: „Seit 2016 investiert das Baugewerbe stärker als das übrige produzierende Gewerbe und die Dienstleistungsbereiche in neue Anlagen.“  Die personellen Kapazitäten seien von 2009 bis 2021 von 705.000 Beschäftigten auf 905.000 Beschäftigte (rund 30 Prozent) ausgeweitet worden.

Wohnungsbau als Stützpfeiler

Stützpfeiler der Baukonjunktur während der Corona-Pandemie ist der Wohnungsbau. Ende September 2021 lagen die Auftragsbestände bei fast 13 Milliarden Euro, eine Steigerung zum Vorjahreswert um fast 20 Prozent. „Die Nachfrage lässt nicht nach. Bis September wurden gut 282.000 Wohnungen genehmigt, etwa fünf Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum“, so der ZDB-Präsident.

Insgesamt gehen die Verbände davon aus, dass der Umsatz im Wohnungsbau in 2021 etwa 55,4 Milliarden Euro erreichen wird, eine Steigerung gegenüber 2020 um nominal zwei Prozent.

400.000 neue Wohnungen jährlich als Herausforderung

Laut Koalitionsvertrag sollen jährlich 400.000 neue Wohnungen gebaut werden. Für 2022 rechnen die beiden Präsidenten daher mit einem weiteren Wachstum auf 59,3 Milliarden Euro, eine Steigerung um sieben Prozent. „Wir halten die Zielvorgabe aus dem Koalitionsvertrag für sehr ambitioniert, bedeutet sie doch eine schlagartige Erhöhung der jährlichen Baufertigstellungen um etwa 30 Prozent,“ rechnet Quast vor.

Der Präsident des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie, Peter Hübner, erklärt dazu: „Es muss daher klar sein, dass neben zusätzlichen, personellen Kapazitäten auch neue, etablierte Konzepte und Methoden, wie das serielle und modulare Bauen, notwendig sein werden.“ Hübner sieht darüber hinaus Handlungsbedarf im Hinblick auf den Wegfall der KfW-55 Förderung, denn die in Planung befindlichen Projekte hätten mit dieser Förderung gerechnet. Auch der von der Politik angestrebte KfW-40 Standard könne noch nicht der Normalfall im Mietwohnungsbau werden.

Beide Verbände fordern eine vereinheitliche Bauordnung, die Schaffung von bezahlbarem Bauland und warnen vor Reglementierungen wie einer Mietpreisbremse. Das schrecke Investoren ab, ihr Geld in neuen Wohnungen zu stecken. Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften könnten den großen Bedarf gar nicht decken.  

Wirtschaftsbau eher ambivalent

Die Nachfrage im Wirtschaftsbau war 2021 eher schwankend und bleibt mit Blick auf die Frühindikatoren Baugenehmigungen und Auftragseingänge ambivalent. „Wir haben zwar von Januar bis September einen starken Zugang an Ordern (+13 Prozent) vor allen Dingen im Hochbau gesehen (+18 Prozent). Aber die Baugenehmigungen zeigen je nach Gebäudetyp ein sehr differenziertes und von Corona gezeichnetes Bild“, so das Fazit der Spitzenverbände.

Erwartungsgemäß lag das Genehmigungsvolumen (bemessen nach Baukosten) bei Handelsgebäuden um 14 Prozent unter dem Vorjahresniveau, wogegen der gestiegene Online-Handel die Nachfrage nach Lagerflächen stützt, so dass das Genehmigungsvolumen des Vorjahres hier erreicht wird. Die Investitionsbereitschaft aus der Industrie in neue Fabrik- und Werkstattgebäude erreicht per September nicht das schwach ausgeprägte Vorjahresniveau. Auch der Hotel- und Gastronomiebereich zeige wegen der Corona-Einschränkung weniger Investitionsneigung (-8 Prozent).

Insgesamt rechnen die Verbände im Bereich Wirtschaftsbau mit einem Umsatz von 50,3 Milliarden Euro (+1 Prozent nominal). Für 2022 gehen sie von von 53,3 Milliarden Euro (+6 Prozent nominal) aus.

Starke Schiene

Peter Hübner (HDB) ergänzt: „Wir brauchen eine starke Schiene. Wir unterstützen die im Koalitionsvertrag vorgesehene Bevorzugung der Schiene und gehen davon aus, dass die neue Bundesregierung die bisherigen Planungen zu den steigenden Investitionen bei der Bahn beibehalten wird. Steigende Investitionen bei der Bahn stützen den Wirtschaftstiefbau.

Hübner appellierte jedoch an die Koalition, den Straßenbau über den Ausbau der Bahn nicht zu vernachlässigen. „Auch E-Autos benötigen Straßen, und sie brauchen vor allem eine vernünftige Ladeinfrastruktur.“

Öffentlicher Bau als „Sorgenkind“

„Sorgenkind“ sei der kommunale Bausektor. Steigende Ausgaben für Personal und soziale Aufwendungen hätten die Investitionen in Baumaßnahmen der Kommunen eingeschränkt. Der Investitionsstau habe sich bei 150 Milliarden Euro verfestigt. Auch für 2022 gehen die Spitzenverbände von einem Rückgang der kommunalen Bauinvestitionen von um fast neun Prozent aus.

Klimaschutz braucht „Sanierungsbooster“

Hübner stellt klar, dass die Bauwirtschaft sich zu den Klimaschutzzielen im Gebäudebereich bekenne. „Wir sind nicht Teil des Problems, wir sind Teil der Lösung.“ Er forderte einen echten „Sanierungsbooster“ und nannte Smart Home, serielle Sanierungen, integrierte Sanierungsfahrpläne und Einzelmaßnahmen aber auch eine Lebenszyklusbetrachtung sowie weitere Digitalisierungsschritte als mögliche Lösungsbausteine.

Schaffung einer digitalen Infrastruktur ohne Trenching

Für Peter Hübner ist schnelles Internet ein wichtiges Thema, allerdings sollten die baulichen Maßnahmen wohl überlegt sein. „Trenching, das Aufschlitzen von Straßen, ist vor allem deshalb nicht nachhaltig, da das Gemeingut Straße zerstört und ständig die Gefahr besteht, dass Breitband-Kabel bei Straßensanierung beschädigt oder durch Maßnahmen unter der Straße, beispielsweise bei Arbeiten an Gas- oder Wasserleitungen, durchgetrennt werden.“  Er plädierte für einen qualifizierten Leitungstiefbau und erinnerte an die Vorteile für die übrigen Netzinfrastrukturen – von der koordinierten Sanierung, über die digitale Erfassung bis hin zu einem regelrechten Leitungsupgrade etwa für E-Mobilität.

Fachkräfteschub als große Zukunftsaufgabe

„Die Bauwirtschaft ist vielfältig, innovativ und schafft Generationen überdauernde Projekte. Diese Faszination des Bauens zu vermitteln, ist eine gemeinsame große Zukunftsaufgabe, um im Kampf um Fachkräfte bestehen zu können,“ sind sich die Präsidenten Hübner und Quast einig. Quast forderte zudem, rund 10.000 Fachkräften aus Westbalkan die Einreise nach Deutschland und die Arbeitsmöglichkeiten zu erleichtern. „Das sind hoch qualifizierte Bauarbeiter.“

Autorin

Michaela Podschun ist Redakteurin der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.


www.bauindustrie.de


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