Bauen mit Lehm und Holz: Wachhaus als Escape-Room im LWL-Römermuseum Haltern am See

Auf dem Areal des LWL-Römermuseums in Haltern am See entstand ein Wachhaus so originalgetreu wie möglich aus Holz und Lehm. Das Tragwerk errichteten Zimmerer aus Eiche, das Dach deckten sie mit Lärchenholzschindeln. Als Highlight beherbergt das Wachhaus den ersten römischen Escape-Room Deutschlands.

Innerhalb von rund zwei Jahren entstand auf dem Areal des LWL-Römermuseums (Landschaftsverband Westfalen-Lippe) in Haltern am See das 120 m2 große Wachhaus als Nachbildung in römischer Fachwerktechnik aus Holz und Lehm. Finanziert wird der Bau vom Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes NRW. Anlass ist die archäologische Landesausstellung NRW „Roms fließende Grenzen“, die in Haltern unter dem Titel „Rom in Westfalen 2.0“ noch bis zum 30. Oktober 2022 zu sehen sein wird.

Als Highlight beherbergt das Wachhaus den ersten „Römer-Escape-Room“ Deutschlands. Wie einst die römischen Legionäre müssen die Spieler versuchen, sich zu befreien und den Escape-Room verlassen. In 60 Minuten gilt es, verschiedene Aufgaben zu meistern.

Im LWL-Römermuseum in Haltern am See entstand der Neubau eines römischen Wachhauses mit einer Fassade aus Lehm
Foto: Michaela Podschun

Im LWL-Römermuseum in Haltern am See entstand der Neubau eines römischen Wachhauses mit einer Fassade aus Lehm
Foto: Michaela Podschun

Römisches Lager am Ufer der Lippe

Doch zunächst ein Blick auf die Geschichte. Was hatten die Römer in Haltern am See zu suchen? Vor 2000 Jahren war dort am Ufer der Lippe einer ihrer wichtigsten Stützpunkte. Von dort versuchte der berühmte römische Feldherr Varus das Gebiet rechts des Rheins zu erobern. Hier war eine der Legionen stationiert, die 9 n. Chr. in der Varusschlacht untergehen sollte, die Legio XIX. Der Name des Lagers lautete vermutlich Aliso.

Exakt an dieser Stelle befindet sich heute das Römermuseum des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe. Es zeigt bedeutende Funde aus allen Römerlagern entlang der Lippe. Zudem werden Teile des römischen Hauptlagers rekonstruiert unter dem Namen „Römerbaustelle Aliso.“ Nach über vier Jahren Planungszeit wurden 2016 eine Holz-Erde-Mauer, die dem römischen Lager Schutz bot, und das Westtor wieder aufgebaut. Sie geben beide einen guten Eindruck von der Bauweise der Antike. 

Planungen begannen im Frühjahr 2020

2013 traten bei Ausgrabungen der LWL-Archäologie Bodenspuren des Wachhauses zutage. Im Rahmen eines wissenschaftlichen Kolloquiums wurden diese Befunde mit Bauhistorikern, Archäologen und Architekten diskutiert. Es entstanden erste Rekonstruktionen. Im Frühjahr 2020 begannen die Planungen für das neue Wachhaus. Richtfest gefeiert wurde Ende Januar dieses Jahres.

LWL-Chefarchäologe Prof. Dr. Michael Rind blickt zurück: „Die Entscheidung für eine Pfostenbauweise fiel auf Basis des archäologischen Befundes an Ort und Stelle sowie unter Rückgriff auf vergleichbare Gebäudetypen.“ Wegen der räumlichen und funktionalen Nähe des Gebäudes zum Westtor nehmen die Fachleute an, dass es sich um ein Wachhaus handelte.

Die Funktion war damals vielfältig: „Möglicherweise prüften römische Legionäre hier Waren und führten Personenkontrollen durch. Das Gebäude bot aber auch Schlafmöglichkeiten für die Mauerwache und diente der Lagerung von Waffen und Munition“, sagt Rind.

Lehm schafft gutes Raumklima

Errichtet wurde das Gebäude schließlich 12 m südlich vom Westtor auf dem Außengelände des LWL-Römermuseums. Es umfasst eine Fläche von 119 m2 und ist 5 m hoch. 85,70 m2 entfallen auf das Gebäude, 33 m2 auf den Portikus. Es wurden etwa 70 t Lehm verarbeitet, 15 m3 Eichenholz und 2,5 m3 Lärchenholz verbaut. Insgesamt verlegten die Zimmerer etwa 170 m3 Holzdachschindel.

Die Handwerker haben so originalgetreu wie möglich gearbeitet. Der Lehm wurde von der Firma Tierrfino mit Sitz in Münster geliefert und von der Firma Vorwerk Putz und Stuck aus Warendorf verarbeitet. „Seit 4000 Jahren wird mit Lehm gebaut. Früher war er der Baustoff der armen Leute. Heute geht man wieder zurück dazu und schafft ein gutes Raumklima damit“, sagt Peter Böhm, technischer Berater von Tierrfino.

Lehm wird mit Stroh und Steinchen versetzt

Der Lehm wurde trocken angeliefert. Damit er gut haftet ist er mit Steinchen und Stroh versetzt
Foto: Michaela Podschun

Der Lehm wurde trocken angeliefert. Damit er gut haftet ist er mit Steinchen und Stroh versetzt
Foto: Michaela Podschun
Tatsächlich ist es im Inneren des Wachhauses angenehm frisch. Die Lehmfassade ist insgesamt 30 cm dick. Aufgebracht wurde der Lehm in mehreren Schichten. „Nach jeder Schicht muss der Lehm gut trocknen. Sonst rutscht er am Ende herunter. Den Lehm liefern wir lose. Er wird vor Ort von der Firma Vorwerk mit Wasser angerührt“, so Böhm. Damit der natürliche Baustoff gut hält, wird er mit Stroh und Steinchen versetzt. Als Putzträger dient Schilf. Für die Außenwände wurde Kalkputz als Wetterschutz eingearbeitet. Das Fachwerk wurde mit Weidenruten ausgefacht. Die beiden Anwendungstechnikerinnen von Tierrfino, Anja Bargel-Schütte und Saskia Gerling, mischten bei einem Übungs-Termin für die LWL-Museumspädagogen in einem Mörtelkübel 30 Liter Lehm mit etwa 6 Litern Wasser. Mit einem Collomix-Rührer entstand eine breiige Masse, die kurz ruhen musste und dann direkt per Kelle oder Hand an die Fassade geworfen wurde.

Die LWL-Museumspädagogen üben das Verputzen mit Lehm. Als Putzträger dient Schilf
Foto: Michaela Podschun

Die LWL-Museumspädagogen üben das Verputzen mit Lehm. Als Putzträger dient Schilf
Foto: Michaela Podschun
Die Planungen für das Projekt übernahm das Büro g+w ingenieurplanung aus Münster in Kooperation mit den Wissenschaftlern der LWL-Archäologie und des Römermuseums.  „In einigen Punkten mussten wir aber vom Original im Sinne einer guten Statik abweichen“, erläutert Ingenieur Paul Nathaus. Die Schwachstelle solcher Fachwerkbauten seien die Pfosten, die in den Boden eintreten. Sobald Holz mit Wasser in Berührung kommt, beginnt es zu faulen und das ganze Haus wird instabil. „Fundamente aus Beton und ein Stahlstift verhindern den Kontakt des Holzes mit dem Erdreich“, so Nathaus.

Dachschindeln aus Lärchenholz wurden geklammert

Die Zimmerer verlegten circa 170 m3 Dachschindeln aus Lärchenholz 
Foto: Zimmerei Rohlf

Die Zimmerer verlegten circa 170 m3 Dachschindeln aus Lärchenholz 
Foto: Zimmerei Rohlf
Auch bei den Holzschindeln auf dem Dach wurde aufgrund von Sicherheitsaspekten und der Langlebigkeit moderner gebaut. „Wir haben die Schindeln, die aus Lärche bestehen, nicht lose verlegt sondern geklammert. Mit einer Überlappung von 25 cm liegen sie dreifach übereinander“, schildert Zimmermeister Georg Rohlf von der Zimmerei Rohlf aus Haltern am See. Dachrinnen aus Lärche leiten das Wasser ab. „Ob die Römer auch Dachrinnen hatten, das lässt sich nicht belegen. Aber wir bauen ja ein Haus, das möglichst lange bestehen soll“, sagt Rohlf, der auch eine Restauratoren-Ausbildung absolviert hat. Eine Dämmung besitzt das Dach nicht. Im Inneren fällt der Blick direkt auf die Holzschindel. „Die Römer haben sich damals ein Feuer gemacht, um sich zu wärmen. Die Lehmfassade wird die Wärme gut gehalten haben“, ergänzt er. Sein Betrieb errichtete auch die Haupttragkonstruktion aus Eichenholz sowie die Eichen-türen und Stockbetten.

Warum pfuschten die Römer?

Dem fehlerhaften Grundriss blieben Planer und Betriebe treu. Das Wachhaus ist krumm, wie die Archäologen anhand von Verfärbungen im Boden feststellten. „Wir als moderne Bauhandwerker sind es natürlich nicht gewohnt, schief zu bauen“, sagt Rohlf. Keine Wand steht zur anderen in einem 90-Grad-Winkel, eine macht regelrecht einen Knick. Warum die Römer damals pfuschten? Darüber kann aus heutiger Sicht nur spekuliert werden. „Eigentlich konnten sie sehr präzise bauen, aber es passierten durchaus auch mal Unfälle. Einen Pfusch am Bau haben wir auch an der Umwehrung festgestellt. Den haben wir auch genauso rekonstruiert“, sagt Lisa Stratmann, die stellvertretende Museums-Leiterin. Zeitdruck während der Belagerung, Witterungsverhältnisse oder eben Unachtsamkeit: Alles scheint möglich zu sein.  

Erster „Römer-Escape-Room“ Deutschlands

Erstmalig begehbar ist das Wachhaus während der „Römertage“, die am 6. und 7. August 2022 im Museum mit einem vielfältigen Programm gefeiert werden. „Der Escape-Room ist ab Mitte August bespielbar“, sagt Lisa Stratmann. Besucher können dort die letzten Stunden von Aliso nacherleben. Das Innere des Gebäudes wird möglichst originalgetreu eingerichtet. „Im großen Raum gibt es Stockbetten, Regale, Tische und eine Feuerstelle. Ein kleinerer Raum ist die Schreibstube mit Schriftrolle und Tintenfass. Dort hat einst der Legionsschreiber gesessen und die ankommenden Waren registriert“, erklärt sie.  

Im Escape-Room wird die Zeit zurückgedreht: Nach der Varusschlacht 9 nach unserer Zeitrechnung war Aliso also das letzte römische Lager an der Lippe, das sich trotz germanischer Angriffe noch ein wenig gehalten hat. Durch eine List entkamen die römischen Besatzer und retteten sich an den Rhein. Die Teilnehmer des Spiels erleben diese Belagerungssituation und müssen sich befreien. In 60 Minuten gilt es, verschiedene Rätsel zu lösen. „Der Spielleiter sitzt draußen versteckt in einem Regie-Container und kann per Video-Schalte Hilfestellung geben“, erläutert Stratmann. Die Römerfans werden also nicht komplett ihrem Schicksal überlassen.

Autorin

Michaela Podschun ist Redakteurin der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.

Baubeteiligte (Auswahl)

Auftraggeber Landschaftsverband Westfalen-
Lippe, Münster, www.lwl.org

Planung g+w ingenieurplanung,
Beratende Ingenieure für das Bauwesen,
Münster, gwims.de

Putzarbeiten Heinz Vorwerk Stuck und Putz,

Warendorf, www.vorwerk-putz.de

Lehm und Kalk Tierrfino, MTM Münstersche
Transport-Mörtel, Münster, www.tierrfino.de

Dach- und Holzbauarbeiten Rohlf Zimmerei,

Haltern am See,
www.rohlf-zimmerei.de

Lehm als Baustoff

Lehm atmet 30-mal mehr Sauerstoff als Ziegelsteine und 100-mal mehr als Beton. So entsteht ein angenehmes Raumklima. Lehm wird im Gegensatz zu Zement nicht gebrannt, sondern getrocknet und hat daher einen um 85 Prozent geringeren Primärenergiebedarf. Lehm ist einfach zu verarbeiten, rein mineralisch, zu 100 Prozent recycelbar, geeignet für Allergiker und atmungsaktiv. Das Material – Erde mit Tonmineralen – ist nahezu in allen Böden verfügbar. Das Tragverhalten von Lehmmauerwerk ist vergleichbar mit konventionellem Mauerwerk.

Quellen: Tierrfino, Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM)

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