Austauschplattform zum Kanal-Management

35. Lindauer Seminar: Praktische Kanalisationstechnik – Zukunftsfähige Entwässerungssysteme

29 Referenten aus der Wissenschaft und Praxis diskutierten unter der Leitung von Prof. Max Dohmann, Prof. Wolfgang Günthert, Prof. Karsten Kerres und Prof. Karsten Körkemeyer mit den über 550 Teilnehmern über die Herausforderungen und Lösungsansätze rund um den Kanalbetrieb mit Digitalisierung, Fachkräftemangel, ganzheitliche Instandhaltung, Künstlicher Intelligenz und Klima-Resilienz von Entwässerungssystemen. 77 Aussteller präsentierten ihre innovativen Produkte und Dienstleistungen in den großzügigen Foyer-Räumen der Lindauer Inselhalle.


© Frederick Sams | Lindau Tourismus & Kongress GmbH

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Eröffnet wurde das Seminar von Dr. Claudia Alfons, Oberbürgermeisterin der Stadt Lindau. Sie betonte in ihrer Begrüßung die Bedeutung innovativer mittelständischer Unternehmen für die Region und wünschte allen Teilnehmenden eine erfolgreiche Tagung.


Wasserwirtschaftliche Rahmenbedingungen und Vorgaben

Der fachliche Teil der Tagung wurde von Prof. Max Dohmann eröffnet. In seinem Vortrag mit dem Titel „Aktuelle Herausforderungen in der Wasser- und Abwasserwirtschaft“ griff er unter anderem die Klimaanpassung, Digitalisierung und zukunftsfähige Entwässerungssysteme auf. So seien Kanalisationen nicht nur aufgrund von zunehmenden Starkregenereignissen als Abwasseranlagen belastet, sondern bei Hochwasserextremen, wie beispielsweise im Ahrtal, auch als Bauwerke direkt betroffen. Hier müsse man in gefährdeten Bereichen neue Konzepte zum Hochwasserschutz von Abwasseranlagen erdenken. Im Weiteren führte Prof. Dohmann aus, dass die Digitalisierung auch in der Wasser- und Abwasserwirtschaft weiterhin eine große Aufgabe darstelle. Moderne Sensoren, komplexe Modellierungen, Künstliche Intelligenz oder digitale Zwillinge böten erhebliche Potenziale für das Ressourcenmanagement, die Überwachung von Wassermengen und -qualitäten oder auch für die Optimierung von technischen Anlagen und Prozessen in der Siedlungswasserwirtschaft. Das konsequente Einbinden solcher Systeme in bestehende Strukturen sei aber oftmals aufwändig und noch nicht im möglichen Maße umgesetzt.


© Frederick Sams | Lindau Tourismus & Kongress GmbH

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Prof. Uli Paetzel, Präsident der DWA benannte in seinem Vortrag „Wasserwirtschaft in Krisenzeiten – Energieautarkie, nachhaltige Ressourcennutzung und Klimaneutralität“ neben Klimawandel und Wasserknappheit Verbrauchsmittelknappheit und gestörte Lieferketten, Inflation und Baupreissteigerungen sowie Fachkräftemangel als größte Herausforderungen in der Wasserwirtschaft. Vor diesem komplexen Hintergrund sei es nötig, Wasserwirtschaft zunehmend als Querschnittsthema zu denken und er forderte ein entsprechendes und vielschichtiges Engagement der Politik: „Wasserwirtschaft muss Gesellschaft gestalten!“ so der abschließende Aufruf von Prof. Paetzel.

Wo drückt‘s bei den Gemeinden?“ Mit dieser Frage befasste sich Dr. Juliane Thimet, Direktorin Bayerischer Gemeindetag, München und skizzierte die Situation der Städte und Gemeinden im Spannungsfeld von Daseinsvorsorge zu Zeiten knapper Kassen. So sei insbesondere die Starkregenvorsorge im Baubestand eine große Herausforderung und oft seien notwendige Maßnahmen zwar bekannt, aber nicht umsetzbar, weil öffentlicher Raum nicht im erforderlichen Maße umgestaltet werden könne und zudem private Grundstückseigentümer ihr Grundstück zur Geländeveränderung oftmals nicht zu Verfügung stellen würden.

Der erste Vortragsblock schloss mit dem Beitrag von Dr. Andreas Rimböck, Bayerisches Landesamt für Umwelt. Er befasste sich mit der Daueraufgabe der generationengerechten Daseinsvorsorge und beschrieb Aufgaben der Politik in diesem Zusammenhang: Die Verantwortung für die Daseinsvorsorge „Abwasserentsorgung“ sei Pflichtaufgabe bei den Kommunen. Neben der Berücksichtigung wasserrechtlicher Erfordernisse ginge es aber darum, die öffentlichen Kanalnetze als das größte Anlagevermögen von Städten und Gemeinden auch wahrzunehmen, denn sowohl der Erhalt vorhandener leistungsfähiger Entwässerungssysteme als auch deren Neuausrichtung hin zu nachhaltigen Schwammstadtkonzepten lägen eigentlich im ureigenen kommunalen Interesse.


Ingenieur- und Dienstleistungen im Blick der Siedlungsentwässerung

Professor Wolfgang Günthert eröffnete den zweiten Vortragsblock mit Überlegungen zu der Frage, wie die Qualität von Kanalsanierungsmaßnahmen vor, während und nach Ausschreibungen positiv beeinflusst werden könne. Er legte dazu die sechs Phasen der Kanalsanierung von der Bestandsaufnahme bis zur Bauausführung dar und wies jeweils auf relevante Regelwerke, Hinweisblätter und insbesondere Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen wie beispielsweise des VSB hin, deren Anwendung Voraussetzung für die Sicherstellung möglicher Nutzungsdauern seien.

Dass in der Praxis diese Art der Qualitätssicherung auch eingefordert und bezahlt werden müsse, verdeutlichte Dipl.-Geogr. Gerhard Renz, ISAS GmbH, Albstadt in seinem Beitrag zur Preisbildung in der Kanalsanierung. Er stellte folgende höchst widersprüchliche Situation dar: Es seien so viele Ausschreibungen wie noch nie auf dem Markt und entsprechend existiere eine erhebliche Nachfrage. Verstärkend sei die Angebotssituation aufgrund limitierter personeller und technischer Ressourcen beschränkt. Trotzdem seien die Preise für Reparaturen in den letzten Jahren nicht oder nur sehr moderat gestiegen. Diese real also sinkenden Preise würden sich zwangsläufig auf die Qualität auswirken. Es entstünden oftmals „Endlosbaustellen“, da Projekte wegen nicht behobener Mängel zum Nachteil aller nicht fertiggestellt würden.


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Giuseppe Carmona, JT-elektronik GmbH, Lindau befasste sich in seinen Ausführungen mit der Qualität der bei den Netzbetreibern vorhanden Daten. Denn, so Herr Carmona, gesicherte Daten seien die Voraussetzung dafür, überhaupt eine qualitativ hochwertige Sanierungsplanung durchführen zu können. Während der Datenbestand zur öffentlichen Kanalisation mittlerweile in vielen Fällen befriedigend sei, seien die Daten zu privaten aber auch öffentlichen Leitungen noch in vielen Fällen fehlerbehaftet und lückenhaft. Wenn, wie im dargelegten Falle eines Praxisbeispiels über 50 % der im Bestand verzeichneten Anschlussleitungen nicht mehr in Betrieb seien, wären nicht nur hydraulische Betrachtungen ungenau, sondern es entstünden auch erhebliche betriebliche Probleme. Abschließend verwies Herr Carmona auf moderne Inspektions- und Vermessungssysteme, die den Aufbau valider Datenbestände effizient unterstützen würden.

Im nächsten Vortrag stellte Dr. Serdar Ulutaş, IKT – Institut für Unterirdische Infrastruktur gGmbH, Gelsenkirchen Forschungsergebnisse zur Zuverlässigkeit von Dichtheitsprüfungen vor. Zwar sei die dauerhafte Dichtheit der Abwasseranlagen ein wichtiges Funktionsziel, beim IKT wurde aber festgestellt, dass Dichtheitsnachweise in zahlreichen Fällen dann fragwürdig seien, wenn die Dichtheit über TV-Inspektionen überprüft würde. Die physikalische Dichtheitsprüfung sei dagegen auch unter Praxisbedingungen unabhängig vom Prüfverfahren ausreichend zuverlässig und sollte daher in häufiger angewandt werden als bislang.


Anforderungen und Konzepte bei der gesamtheitlichen Kanalkontrolle und GIS-Detektion

Im dritten Vortragsblock erörterte Professor Karsten Körkemeyer, TU Kaiserslautern die Potenziale der Digitalisierung der Wasserwirtschaft und er führte im Weiteren aus, dass bestehende Kanalmanagementsysteme und Building Information Management (BIM) Modelle zunehmend zusammenwachsen sollten. Nur so könnten die verschiedensten Bauwerksinformationen, wie hydraulische Daten, statische Berechnungen oder andere Zustandsinformationen zielgerichtet für Betrieb und Instandhaltung genutzt werden. Über die technischen Aspekte hinausgehend sei es zudem erforderlich, dass Verwaltungsleistungen wie wasserrechtliche Genehmigungen als Prozesse digitalisiert würden.

Die aktuell praktischen Möglichkeiten der Zusammenführung von BIM und Betriebsführungssystemen zeigte Stefan Schmidbauer, tandler.com GmbH, Buch am Erlbach, in seinem Vortrag auf. Insbesondere durch den konsequenten Einsatz mobiler Endgeräte in Verbindung mit cloudbasierten Datenbankstrukturen sei es möglich, Prozesse effizienter zu gestalten als bisher. Zudem könnten aktuelle Vor-Ort Situationen wie bspw. Zugänglichkeit und Zustand von Straßenabläufen in die Datenbank zurückgespiegelt und zukünftige Betriebsintervalle und Betriebsprozesse könnten individuell am Objekt geplant und zunehmend optimiert werden.


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Ivo Straub, B. Eng. und Fabian Eck, B. Eng. verdeutlichten in ihrem Vortrag „3D Laserscanning - As-built Dokumentation von Kanalbauwerken“ zunächst noch einmal die Probleme, die schlechte Datenhaltung und Kommunikation zum Bestand unterirdischer Infrastrukturen nach sich zögen. Lösung, so die beiden Mitarbeiter von scandric 3D Solutions, Bochum, könne der Aufbau eines BIM-Modells des Straßenkörpers sein, welches nicht auf Plan-, sondern auf Bestandsdaten basiere. Exemplarisch wurde ein Pilotprojekt in Bochum vorgestellt, bei dem Daten aus Kanal- und Leitungskataster, Georadardaten, Daten aus der Befahrung und Laserscandaten zu einem komplexen georeferenzierten Modell von Oberfläche und Straßenkörper zusammengeführt worden seien. Solche georeferenzierte BIM Modelle von Oberfläche und Straßenkörpers könnten im Nachgang als valide Grundlage für Neuplanungen, hydraulische Berechnungen und Kollisionsprüfungen dienen oder in Zusammenwirken mit gezielten Sondierungen auch der sachgerechten Planung der Baugrubensicherung.

Die Bedeutung der Digitalisierung für die Wasserwirtschaft in Rheinland-Pfalz wurde von Dr. Paul Wermter, Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität Rheinland-Pfalz, dargelegt. Er führte zunächst aus, dass Digitalisierung kein Selbstzweck sei. Nicht die Technik, sondern der Mensch stünde im Mittelpunkt des Ministeriums. Vor diesem Hintergrund stellte Dr. Wermter zunächst Beispiele bereits vorhandener digitaler Informationsangebote im „Wasserportal Rheinland-Pfalz“ vor. Noch in der Umsetzung sei das Konzept „Digitale Hochwasservorsorge Visdom“. Ziel von Visdom sei, die aktuelle Starkregenhinweiskarte zu ersetzen und so eine 3D-Starkregenvisualisierung für Risiko- und Vorsorgekommunikation zu ermöglichen.

Dipl.-Ing. Hagen Keller, Leitstelle des Bundes für Abwassertechnik im Niedersächsischen Landesamt für Bau und Liegenschaften, Hannover, stellte Neuerungen und Ergänzungen von Isybau XML 2023 vor. Das Isybau Austauschformat sei 1996 eingeführt worden und hätte sich als softwareunabhängige Schnittstelle für den standardisierten Datenaustausch bewährt. Für 2023 sei eine Fortschreibung geplant, die insbesondere eine Harmonisierung mit aktuellen technischen Regelwerken wie z.B. Profilarten von Haltungen gem. DWA-A 110 gewährleiste oder die Verwaltung der Kanalarten „Sondernutzung“ oder „Drainagesystem“ sowie die Dokumentation von Sanierungen ermögliche.


Kanalinstandhaltung

Professor Karsten Kerres, FH Aachen, eröffnete den letzten Vortragsblock des ersten Seminartages mit einem Beitrag zu Innovationen im Kanalbetrieb und er skizzierte mögliche Konsequenzen für technische und personelle Ressourcen. Er fasste in diesem Zusammenhang zunächst die zahlreichen Entwicklungen in der Kanalinstandhaltung in den Bereichen Normung, Technik oder Wissenschaft zusammen und legte für die Zustandserfassung und Reinigung anhand konkreter Beispiele dar, dass die konsequente Nutzung dieser Entwicklungen in Form bedarfsgerechter Instandhaltungskonzepte zu erheblichen Effizienzsteigerungen im Kanalbetrieb führen könne, ohne dass wasserwirtschaftliche Belange vernachlässigt würden.


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Dipl.-Ing. Jörg Otterbach, Wasserverband Eifel-Rur (WVER), Düren, beschrieb in seinem Vortrag die mit neuen Regelwerken verbundenen Zukunftschancen. Dabei vertiefte er insbesondere Inhalt und Stand der DIN EN 13 508-3 „Kodiersystem für Kanalreinigung“ deren Entwurf kurz vor der Verabschiedung stehe. Teil 3 der EN stelle eine Erweiterung des Kodiersystems nach DIN EN 13 508-2 für Kanalreinigung und Zustandskontrolle dar und ermögliche so die standardisierte Dokumentation der Reinigung inklusive Gründe für die Reinigung, Reinigungsmethode, Informationen zu Fahrzeug oder auch zu Entsorgung des Reinigungsguts. Ebenfalls durch Teil 3 sei die „Zustandskontrolle“ mittels Kanalspiegel, elektronischem Spiegel oder sehender Reinigungsdüse eingeführt und geregelt. Beides sei Grundlage für bedarfsgerechte Reinigung und Zustandserfassung.

Auswirkungen der Digitalisierung auf Organisations- und Personalstrukturen eines Kanalnetzbetreibers führte Dipl.-Ing. Michael Voß, Stadtentwässerung Frankfurt am Main, aus. Neben den eigentlichen technischen Herausforderungen der Digitalisierung müsse Medien- und Digitalkompetenz in der Gesellschaft als Grundfertigkeit etabliert werden. Dies beinhalte tiefgreifendes Verständnis zum Umgang mit Daten ebenso wie die Befähigung zur Problemlösung in digitalen Umgebungen. Sei beides vorhanden, könnten Arbeitsprozesse insgesamt effizienter und in vielen Fällen auch unabhängiger von Zeit und Ort gestaltet werden. Positive Auswirkungen auf Transparenz der Prozesse und auch auf deren Qualität der Ausführung seien zu erwarten schloss Herr Voß seinen Vortrag.

Einen weiteren und ganz anderen Ansatz zur Effizienzsteigerung, Kostensenkung und Qualitätssicherung in der Kanalinstandhaltung beschrieb Bürgermeister Ludwig Waas, 1. Vorsitzender des gKU Donau-Wald. Das durch insgesamt 17 Gemeinden gegründete gemeinschaftliche Kommunalunternehmen, welches u.a. Einführung, Weiterführung und Pflege eines qualifizierten digitalen Kanalkatasters oder Überwachung und Betrieb der gemeindlichen Kanalnetze zur Aufgabe habe, könne bereits nach etwa Jahr schon deutliche Erfolge verbuchen: Durch Bündelung von Ressourcen seien erste Schritte in Hinblick auf Fremdwasserreduzierung unternommen und der vorhandene Investitionsstau abgebaut worden, ohne dass es zu Gebührenanstiegen gekommen sei.


Digitalisierung – Forschung und Praxis

Der zweite Veranstaltungstag begann mit einer Bestandsaufnahme zu Einsatzbereichen Künstlicher Intelligenz in der Kanalinstandhaltung. Prof. Kerres legte in seinem Vortrag dar, dass Forschung und Softwareanbieter sich bislang im Wesentlichen auf den Bereich der optischen Kanalzustandserfassung fokussierten. Blicke man aber auf andere Branchen wie der Energieversorgung oder Medizin, so seien in Zukunft zunehmend autonom arbeitende Robotersysteme zur Inspektion und Wartung und vor allem Entscheidungsunterstützungssysteme zur strategischen und operativen Sanierungsplanung zu erwarten.


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Da mit dem Einsatz künstlicher Intelligenz auch erhebliche Datenmengen transferiert, ausgewertet und wiederum generiert werden, stellte sich Christian Wolf, e.sigma Systems, Dornach, der Frage der Datenhoheit im Zeitalter der Cloud und der digitalen Bildverarbeitung. Er führte aus, dass juristisch gesehen, ein Eigentum an Daten oder deren Informationen nicht möglich sei. Deshalb sei die Wahrung der Datensicherheit für beratende Unternehmen und Betreiber oberstes Gebot. Dies umfasse nicht nur die Vertraulichkeit von Informationen zu kritischen Infrastrukturen, sondern auch die Integrität und Verfügbarkeit der Daten. Moderne Cloudlösungen, deren Server in Deutschland oder Europa stünden, würden diese Sicherheit mittlerweile bieten, so Herr Wolf.

Der Stand der Forschung zu Künstlicher Intelligenz bei der TV-Zustandserfassung und strategischen Sanierungsplanung wurde von M.A. Tomas Cerniauskas, August-Wilhelm Scheer Institut für digitale Produkte und Prozesse gGmbH, Saarbrücken, und M.Sc. Marco Deubler, ISAS GmbH, Füssen, im Rahmen zweier Vorträge vorgestellt. Dabei wurde verdeutlicht, dass die Auswahl der Trainingsdaten und der Algorithmen sich erheblich auf Erkennungsleistung der automatisierten Zustandserfassung auswirken. Insgesamt schlügen die Algorithmen mit großer Zuverlässigkeit und hoher Verarbeitungsgeschwindigkeit an. Der Einsatz von KI bei der strategischen Sanierungsplanung befinde sich dagegen noch entwicklungstechnisch in einem Anfangsstadium; die KI könne aber dazu beitragen, dass auch die Instandhaltung kleinerer Netze anhand objektiver Kriterien und auch vermehrt unter Berücksichtigung von Schadensrisiken möglich würde. Insgesamt so das Fazit aus beiden Vorträgen könne die KI in den Bereichen Bilderkennung bzw. Schadendetektion sowie strategischer Sanierungsplanung den Prozess der Entscheidungsfindung deutlich beschleunigen. Ungeachtet der zu erwartenden technischen Möglichkeiten sei jedoch der gesunde Menschenverstand in vielen Fällen der Entscheidungsfindung auch in Zukunft maßgebend. Letztlich komme es also darauf an, das Zusammenwirken von Mensch und Maschine sinnvoll zu gestalten, sodass, wie am Vortag bereits thematisiert, sich die Notwendigkeit ergäbe, digitale Kompetenz als Grundfertigkeit im Ingenieurwesen zu etablieren.


Gesamtheitliche Sicht zu Kanal und Sanierung

Im abschließenden Vortragblock des diesjährigen Lindauer Seminars wurde noch einmal der Bogen von der Kanalinstandhaltung zu den großen wasserwirtschaftlichen Herausforderungen und damit zum ersten Vortragsblock geschlagen. Prof. Körkemeyer führte mit seinem Vortrag „Kommunale Entwässerung im Wandel – Chancen und Herausforderungen“ in die Thematik ein und legte dar, dass die Instandhaltung der Kanalisation neben dem technischen Funktionserhalt zunehmend die Aspekte Klimafolgenanpassung und Werterhalt der Infrastruktur berücksichtigen müsse. Nur so könne Nachhaltigkeit sichergestellt werden.

Dipl.-Ing. Frank Hümmer, Amt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung Schwabach, bewertete die Möglichkeiten, die das Geoportal Bayern mit seinen 2D- und 3D-Darstellungen für die Kanalinstandhaltung böte. Er fasste zusammen, dass in Bayern bereits viele Geodaten, insbesondere Gelände-, Oberflächen- und Gebäudemodelle in hoher Auflösung online und frei verfügbar seien. Insbesondere für hydraulische Betrachtungen könnten diese Informationen einen wertvollen Beitrag leisten.

Herr Dr. Falk stellte anschließend das Dortmunder Handlungskonzept zum Umgang mit Starkregen vor. Ziele des Konzeptes seien zum einen die Verbesserung der Überflutungs- und Hochwasservorsorge und des dazugehörigen Krisenmanagements in der Stadt, zum anderen aber auch die Erhöhung der Widerstandsfähigkeit der Stadt Dortmund gegenüber Starkregenereignisse durch Etablierung von Schwammstadtkonzepten. Überflutungs- und Hochwasservorsorge müsse bei allen formellen und informellen Stadtentwicklungsprozessen berücksichtigt werden, so Herr Dr. Falk.

Zum Abschluss stellte Herr Dr. Andreas Lenz, Bayerische Verwaltungsschule (BVS), München, vor, in welchem Maße die Anpassung der umwelttechnischen Ausbildungsberufe an die neuen Herausforderungen der Kanalinstandhaltung erfolge. Fachkräftemangel bestünde in der Energie- und Wasserbranche auf absehbare Zeit und ein überwiegender Teil der Unternehmen stuften den Personal- und Fachkräftemangel als existentielles Zukunftsthema für die Energie- und Wasserbranche ein, zitierte Dr. Lenz eine Umfrage des DVGW. Vor diesem Hintergrund sei es auch eine Steigerung der Attraktivität umwelttechnischer Berufe Ziel der Neuordnung. Erreicht werden solle dies unter anderem durch Fachkräftequalifikationen und Kompetenzen für die „digitalisierte“ Arbeit von morgen und verbesserte Durchlässigkeit der beruflichen Bildung.

V.l.n.r. Tobias Jöckel, Daniel Wittmann, Sonja Jöckel, Dr. Christian Falk, Prof. Karsten Kerres, Cornelia Jöckel-Tschada, Univ.-Prof. Karsten Körkemeyer, Univ.-Prof. Wolfgang Günthert, OB Dr. Claudia Alfons, Univ.-Prof. Max Dohmann, Ulrich Jöckel
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V.l.n.r. Tobias Jöckel, Daniel Wittmann, Sonja Jöckel, Dr. Christian Falk, Prof. Karsten Kerres, Cornelia Jöckel-Tschada, Univ.-Prof. Karsten Körkemeyer, Univ.-Prof. Wolfgang Günthert, OB Dr. Claudia Alfons, Univ.-Prof. Max Dohmann, Ulrich Jöckel
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Fazit

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass auch dieses Jahr auf dem Lindauer Seminar mit seiner vielseitigen Themenauswahl nicht nur wasserwirtschaftliche, technische und politische Herausforderungen für die Kanalinstandhaltung benannt, sondern insbesondere Lösungen aufgezeigt und intensiv diskutiert wurden.

Das 36. Lindauer Seminar findet statt am 14. und 15.03.2024.

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