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Geld Justizministerin Barley

Abmahnprofis – „Die bekannten Abzockereien sollen ein Ende haben“

Wirtschafts- und Finanzredakteur
German Justice Minister and member of the Social Democratic Party (SPD) Katarina Barley speaks during a debate at the Bundestag, the lower house of parliament for the 70th anniversary of the German constitution (Grundgesetz), on May 16, 2019 in Berlin. (Photo by Odd ANDERSEN / AFP) German Justice Minister and member of the Social Democratic Party (SPD) Katarina Barley speaks during a debate at the Bundestag, the lower house of parliament for the 70th anniversary of the German constitution (Grundgesetz), on May 16, 2019 in Berlin. (Photo by Odd ANDERSEN / AFP)
Justizministerin Barley will durch ihr Gesetz vor allem die finanziellen Anreize für Massenabmahnungen begrenzen
Quelle: AFP
Justizministerin Barley nimmt unseriöse Praktiken mit Abmahnungen ins Visier. Ein neues Gesetz soll vor allem Online-Händler schützen. WELT beantwortet die wichtigsten Fragen.

Die Bundesregierung sagt Abmahnprofis den Kampf an. Spezialisierten Kanzleien, Unternehmen und Organisationen soll es nicht länger möglich sein, mit Massenabmahnungen Geld zu verdienen. „Die allen bekannten Abzockereien sollen ein Ende haben“, sagte Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD). Dafür will sie vor allem die finanziellen Anreize begrenzen. WELT beantwortet wichtige Fragen.

Warum greift der Gesetzgeber bei Abmahnungen ein?

Verstößt ein Unternehmen gegen Vorschriften, kann es von anderen Unternehmen und Verbänden abgemahnt und aufgefordert werden, die Praxis zu ändern. Das ist durchaus sinnvoll und soll grundsätzlich auch so bleiben. Denn durch die gegenseitige Kontrolle von Marktteilnehmern, die im Wettbewerb stehen, lässt sich zum einen ein allzu großer Kontrollaufwand vermeiden – viele Gewerbeämter und andere Aufsichtsbehörden sind ohnehin überlastet.

Zum anderen spart das Instrument der Abmahnung teure und allzu oft langwierige gerichtliche Auseinandersetzungen. „Allerdings sollen Abmahnungen im Interesse eines rechtstreuen Wettbewerbs erfolgen und nicht zur Generierung von Gebühren und Vertragsstrafen“, heißt es in dem vom Kabinett verabschiedeten Gesetzentwurf. Zu Abmahnkosten in Höhe von mehreren Hundert Euro können später, wenn dem Abgemahnten weitere Verfehlungen nachgewiesen werden, Vertragsstrafen in Höhe von mehreren Tausend Euro hinzukommen.

Wer ist besonders von missbräuchlichen Abmahnungen betroffen?

Gerade Online-Händlern flattern immer wieder Abmahnschreiben ins Haus, weil sie auf ihren Internetseiten gegen Informations- und Kennzeichnungspflichten verstoßen. Das können Fehler im Impressum sein, bei der Widerrufsbelehrung oder bei Preisangaben. Auch Verstöße gegen Datenschutzvorschriften sind ein mögliches Ziel. Online-Händler und andere Betreiber von Internetseiten sind ein beliebtes Ziel von Abmahnprofis, da sich die Fehler mithilfe spezieller Suchmaschinen, sogenannten Crawlern, schnell finden lassen.

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Warum werden Datenschutzverstöße gesondert aufgeführt?

Als die europäische Datenschutzgrundverordnung vor einem Jahr scharf geschaltet wurde, ging die Sorge vor einer Abmahnwelle um. Damals beauftragte der Bundestag Barleys Justizministerium, eine entsprechende gesetzliche Regelung zur Verhinderung einer solchen Welle zu finden. Über Monate wurde innerhalb der Regierung, zwischen Justiz- und Wirtschaftsministerium darüber gestritten, ob Abmahnungen wegen Datenschutzverstößen grundsätzlich untersagt werden – oder man lediglich versucht, Auswüchse zu verhindern.

Letztlich einigten sich die Ministerien, nicht zuletzt auf Druck der Verbraucherverbände, gegen ein generelles Abmahnverbot, wie es einige Wirtschaftsverbände gefordert hatten. Die Politik überlässt es nun den Gerichten, in den nächsten Jahren darüber zu entscheiden, ob Unternehmen in Deutschland überhaupt wegen Datenschutzverstößen abgemahnt werden dürfen. Eine verbreitete Rechtsauffassung bislang ist, dass es alleine den Aufsichtsbehörden obliegt, auf Verstöße mit entsprechenden Maßnahmen bis hin zu Bußgeldern zu reagieren. Bislang blieb die befürchtete Abmahnwelle bis auf wenige Ausnahmen aus.

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Wie soll der Abmahnmissbrauch künftig verhindert werden?

Im Bereich des Online-Handels und bei vermeintlichen Datenschutzverstößen – auch von Vereinen und Handwerksbetrieben – darf laut Gesetzentwurf weiter abgemahnt werden, allerdings dürfen keine Abmahnkosten mehr verlangt werden. Die abmahnenden Unternehmen dürfen ihren Konkurrenten also die Anwaltskosten nicht mehr in Rechnung stellen.

Bei unerheblichen Verstößen dürfen die Vertragsstrafen zudem 1000 Euro nicht überschreiten, unter gewissen Umständen darf eine solche Vertragsstrafe bei einer erstmaligen Abmahnung nicht einmal mehr angekündigt werden. Dadurch soll der finanzielle Anreiz, massenhaft Abmahnungen zu verschicken, deutlich gesenkt werden.

Geht es nur um Geld?

Nein. Auch der sogenannte fliegende Gerichtsstand wird eingeschränkt. Abmahnprofis ziehen gerne vor immer dieselben Gerichte, nämlich dorthin, wo sie besonders häufig recht bekommen. In der Regel sind diese Gerichte noch dazu weit entfernt vom Wohnsitz des Betroffenen, was die Verteidigung zusätzlich erschwert. Zudem werden die Anforderungen an den Abmahner erhöht. Wirtschaftsverbände dürfen demnach künftig nur noch abmahnen, wenn sie vom Bundesamt für Justiz überprüft wurden und auf einer Liste der klagebefugten Verbände stehen.

Die Regierung geht davon aus, dass zehn größere Wettbewerbsvereine und rund 20 kleinere Verbände einen Eintrag in die neue Liste der qualifizierten Verbände beantragen werden. Die Vereine müssen mindestens 75 Unternehmen als Mitglieder haben und seit mindestens einem Jahr im Vereinsregister eingetragen sein. Dies soll sicherstellen, dass ein Verein nicht zum Zweck von Abmahnungen gegründet wurde und auch andere Finanzierungsquellen als die Gebühren hat.

Um wie viel Geld geht es?

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Durchschnittlich um 1006 Euro. Auf diesen Betrag kommt zumindest das Bundesjustizministerium in dem Gesetzentwurf. Zudem heißt es dort, dass die Hälfte der missbräuchlichen Abmahnungen im Wettbewerbsrecht durch die neuen Regeln verhindert werden sollen. Angeblich gab es 2017 bundesweit insgesamt 324.338 Abmahnungen, in rund der Hälfte der Fälle ging es um Wettbewerbsrecht. Davon wiederum war jede zehnte Abmahnung missbräuchlich, genau 16.217. Belastung für die Wirtschaft: gut 17 Millionen Euro pro Jahr. Wird nun die Hälfte dieser missbräuchlichen Abmahnungen dank des neuen Gesetzes verhindert, entlastet dies die Wirtschaft um rund 8,5 Millionen Euro pro Jahr.

Wie muss ein Abmahnschreiben künftig aussehen?

Wer ein Abmahnschreiben erhält, sollte in Zukunft vor allem auf folgende Punkte achten. Mitbewerber müssen in der Abmahnung Angaben dazu machen, dass sie in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich ähnliche Waren oder Dienstleistungen vertreiben oder nachfragen. Dieser Nachweis kann zum Beispiel durch die Zahl der Verkäufe erbracht werden. Konkrete Umsatzzahlen oder eine Steuerberaterbescheinigung müssen allerdings nicht vorgelegt werden, heißt es im Gesetzentwurf.

Mahnt statt eines Unternehmens ein qualifizierter Wirtschaftsverband ab, muss er darlegen, dass er in die Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände eingetragen ist und inwiefern durch die geltend gemachten Rechtsverletzungen Interessen der Mitglieder berührt werden. Der Abgemahnte muss zudem ohne Weiteres erkennen, welches konkrete Fehlverhalten ihm vorgeworfen wird. Auch dadurch will der Gesetzgeber den Anreiz senken, Massenabmahnungen zu verschicken. Missbräuchliche Abmahnungen zeichnen sich häufig durch gleichlautende Schreiben aus, in denen die genauen Umstände der Rechtsverletzung des Einzelfalls nicht beschrieben werden. Das wäre ein zu hoher Aufwand.

Wann tritt das neue Gesetz in Kraft?

Das ist noch offen. Der Gesetzentwurf muss nun zunächst durch den Bundestag. Mit Änderungen wird allerdings nicht mehr gerechnet.

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